Reisebericht aus dem Baltikum

Mittwochmorgen 22. Juli 2015, 8 Uhr, Tegel: 29 Reiselustige mit Durchschnittsalter 71 fliegen nach Riga zu einer Baltikumreise des Dahlemer Fördervereins vom 22. Juli bis 5. August 2015. In Riga erwartet uns ein Reisebus mit Fahrer, der außer litauisch nur russisch spricht, sich aber dank seines Humors durch Zeichensprache, malen, wenden und rückwärtsfahren sehr bewährt. 

Zuerst geht es nach Kuldiga, ehemals Goldingen in Kurland, das im 16. und 17. Jahrhundert der Sitz der kurländischen Herzöge war. Der breiteste Wasserfall „Ventas rumba“ hat schon damals beeindruckt. Der Kern der kleinen Stadt besteht aus einem ziemlich geschlossenen Holzhauskomplex, erbaut im 18. und 19 Jahrhundert als Handwerkerstädtchen. Seitdem hat sich wenig im Altstadtbild verändert. Bemerkenswert für uns war das opulente Abendessen. Es wurden unglaubliche Mengen herrlichster Speisen aus der lettischen Küche aufgetischt, und selbst die stärksten Esser mussten nach einiger Zeit aufgeben. Wie schade!

Am nächsten Tag ging es nach einer kundigen Stadtführung nachmittags schon weiter. Eine Kaffeepause nutzen wir zum Westküsten-Strandspaziergang, dann eilends über Klaipeda zu Ännchen von Tharau und auf die Kurische Nehrung nach Nida - der ehemaligen Künstlerkolonie Nidden zu Zeiten Thomas Manns. Natürlich stand der Besuch seines Sommerhauses an oberster Stelle der Aktivitäten. Familie Mann hat allerdings nur zwei Sommer dort verbracht. Sehr beeindruckend ist die Hohe Düne bei Nida, die mit 60 m zu den höchsten Dünen Europas gehört. Von oben kann man sowohl die Ostsee als auch das Haff sehen, einige Seefahrer hatten vom Boot aus einen herrlichen Blick auf die große Wanderdüne mit ihrer vielfältigen Vogelwelt. Die russische Grenze ist direkt südlich von Nida, wir wurden vom russischen Grenzboot durchs Fernglas beobachtet.

Am nächsten Tag ging es weiter nach Riga. In Siulai machten wir einen Abstecher zum Berg der Kreuze, auf dem etwa 1.500.000 Kruzifixe aller Größen und Arten aufgestellt und anhängt sind. Er gilt seit den litauischen Aufständen 1831 bis 1863 zuerst gegen das Zarentum und später gegen sowjetische Willkür als ein magischer Ort des Glaubens und ist ein beeindruckender Wallfahrtsort, der für einige ein Höhepunkt der Reise war, für andere eher befremdlich wirkte. 

Ein zweiter Zwischenstopp führte uns in den Naturpark Tervete mit Besichtigung des Hauses der Kinderbuchautorin Anna Brigadere bei Kaffee und frischem Hefekuchen. 

Unser Hotel in Riga lag im Zentrum der malerischen Altstadt nahe der Petri- und der Johanniskirche. Im ehemaligen aus dem Mittelalter stammenden Konventsgebäude „Konventa Seta“ wohnten wir vier Nächte, und wer mochte, konnte in gediegenem Ambiente die gute Küche genießen. In Riga war Roger Grase unser Reiseführer, denn er hat dort beruflich längere Zeit gelebt. Morgens spazierten wir durch die Altstadt, nachmittags nutzten wir unseren Bus zum berühmten und wirklich sehenswerten Jugendstilviertel, dann weiter zum Freilichtmuseum im Grünen mit alten Häusern aus den fünf lettischen Regionen. Auf dem Rückweg besuchten wir die beeindruckende Gedenkstätte im Wald von Bikernieki, wo ein Feld von verschieden großen unbearbeiteten Granitsteinen an die Erschießung von 25.000 aus Deutschland und Österreich deportierten Juden 1941/42 erinnert.

Am nächsten Tag stand zunächst der Besuch der riesigen Markthallen an, bevor wir die halbstündige Fahrt mit dem Vorortzug nach Jurmala antraten, das einerseits als die lettische Riviera, von Spöttern aber als Rigas Badewanne bezeichnet wird. Dort konnte nun endlich wieder - am kilometerlangen feinen Sandstrand - von einigen der Gruppe der Baderei im Meer gefrönt werden!

Der siebte Tag brachte uns zum Barockschloss Rundale. Seine Geschichte begann etwa 1735, als Zarin Anna Iwanowna ihrem Günstling, dem Grafen Johann Biron, ein heruntergekommenes Gut überließ. Dieser Graf hatte ehrgeizige Pläne und wollte ein Prachtschloss aus dem Gut machen. Leider fiel er bei dem Thronfolger der Zarin in Ungnade, wurde nach Sibirien verbannt und konnte seine Pläne erst Jahre nach der Verbannung realisieren. Rundale verfügt heute über 134 teilweise sehr prachtvolle Räume, von denen wir 34 besichtigen konnten. Das Schloss ist von einem wunderschönen Park umgeben. Im Schlossrestaurant tafelten wir dann wie die Fürsten!

Der Wettergott war uns bisher äußerst gnädig: bestes Reise-und Besichtigungswetter! Aber an diesem Nachmittag prasselte der erste Wolkenbruch auf die Busscheibe. Da blieb nur noch Gelegenheit, Rigas Geschäfte und schöne Cafés aufzusuchen.

Unser nächstes Ziel war die Insel Saaremaa vor Estlands Westküste. Es war eine lange, oft durch sintflutartige Regenfälle gekennzeichnete Busfahrt bis nach Kuressaare der Hauptstadt Saaremaas. Bei der herrlichen Pause in Pärnu konnten wir uns die Beine vertreten, alte Kirchen mit bekannten Pfarrnamen entdecken, im Haus des Handwerks Mitbringsel kaufen und überhaupt viel Geld für Schönes ausgeben. Anschließend war Modenschau im Bus auf der Weiterfahrt zur Fähre. 

In Kuressaare gab der Besuch der Bischofsburg mit seinen vielfältigen Exponaten aus verschiedenen Jahrhunderten Aufschluss über die geschichtliche Bedeutung dieses Ortes. An unserem Erholungstag bot sich eine kleine Rundfahrt über die Insel an. Etwas Besonderes war das Meteoritenfeld bei Kaali. Vor ca. 3000 Jahren schlug hier ein Eisenmeteorit ein. Der Krater ist etwa 16 m tief und hat einen Durchmesser von 110 m. Der Betrachter kann deutlich die von dem Aufschlag des Meteoriten aufgetürmten Wälle, die den Krater rings umgeben, sehen. Später pustete uns der Wind fast von der nördlichen Steilküste während an den alten Windmühlen alle Räder still standen.

Weiter ging es nach Tallinn, ehemals Reval, der Hauptstadt Estlands. Es ist eine beeindruckende, wunderschöne Stadt, mit einer sehr wechselvollen Geschichte, deren Wurzeln bis 1154 reichen. Die alte Burg der Esten wurde vom dänischen König Waldemar 1219 zerstört. Von da an begann eine fast 700 Jahre andauernde Fremdherrschaft durch Dänemark, den Deutschen Schwertbrüderorden, durch Schweden, das Zarenreich, die Deutschen und zuletzt die Sowjetunion. Die günstige Lage an der Ostsee machte Tallinn für alle Nachbaranrainer hoch interessant. Heute ist Tallinn touristisch voll im Trend und vor allem wegen des preiswerteren Alkohols von Finnen ziemlich überlaufen. Aus einigen Gesprächen mit unseren Stadtführerinnen hörten wir die Freude heraus, dass sie nun endlich frei seien von der letzten, der sowjetischen Besatzung. Man kann den Ländern nur wünschen, dass es auch durch den Tourismus weiterhin aufwärts geht. 

Nach der informativen Stadtführung durch Ober- und Unterstadt brachen wir zur Weiterfahrt nach Tartu auf. Zunächst führte uns ein Abstecher durch den Laheema-Nationalpark, wo wir das wiedererstandene Gutshaus Palmse vom Park aus bewundern konnten. Erfrischt steuerten wir dann auf den Peipus-See zu, er ist sieben Mal größer als der Bodensee, die Grenze zu Russland verläuft quer durch. Das Ufer ist von russisch-orthodoxer Bevölkerung in kleinen Dörfern besiedelt, man lebt vom Fischen und Zwiebelanbau. Unser Abendbrot war dort in einem russischen Restaurant bestellt, der Tee kam aus dem Samowar.

Nach einer weiteren Stunde Fahrt durch weite Felder mit unzähligen Störchen erreichten wir Tartu. Das ehemalige Dorpat gilt als die Perle Estlands. Dieses Attribut verdankt sie der schon 1632 gegründeten Universität. Tartu soll das Flair einer studentisch geprägten Stadt haben. Davon haben wir wegen der Semesterferien nicht so viel mitbekommen. Etwa ein Drittel der dort lebenden Menschen sollen Studenten sein. Mit unserer Führerin, einer Deutschdozentin an der neuen Universität, bestiegen wir den Domberg mit seinen Denkmälern, Brücken, Skulpturen und der Ruine der Domkirche. In der alten Universität erfuhren wir – an einem Sonntag! - von einer studentischen Führerin vom System der Bestrafung durch die Universitätsleitung in früheren Zeiten: Aufsässige Studenten wurden verurteilt zu einem bis 14 Tagen Karzer bei Wasser und Brot. Das hörte sich nicht so gut an! 

Weiter ging es am nächsten Tag durch Valmiera. Dort konnte sich jeder einen Imbiss besorgen und einen ersten Blick auf die Gauja werfen, den Fluss, der dem angrenzenden Nationalpark seinen Namen verlieh.

In Cesis kamen wir in einem sehr schönen Hotel mit Terrasse zum Stadtpark hin unter. Von hier aus erkundeten wir den Gauja-Nationalpark. Zu fünft mieteten wir Fahrräder und radelten zum Baden im See von Raiskums. Am nächsten Morgen erkundeten wir Sigulda mit der Ruine der Ordensburg aus dem 13. Jahrhundert in sehr gepflegter, mit Blumen und Skulpturen gestalteter Parklandschaft und später die teilweise rekonstruierte Burg Turaida. In der alten Gutmannshöhle verweisen deutsche Inschriften auf unsere Vorfahren, leider konnte sie das Quellwasser nicht so verjüngen wie man uns prophezeite. 

Vor dem üppigen Abendessen auf dem Gut Ungurmuiza, früher als als Orellen bekannt, bekamen wir eine Führung durch das Haus, das 1728 von Johann Balthasar von Campenhausen erworben wurde und auf dem bis 1920 Zweige der Familie lebten. Es gehört heute zu den wenigen erhaltenen Gutshäusern in Holzblockweise in Europa. Im Inneren finden sich Wandmalereien aus dem 18. Jahrhundert, die man versucht wieder freizulegen. Sie sind als Weltkulturerbe anerkannt.

Unser letzter Höhepunkt kam am folgenden, am Abreisetag. Auf dem Weg zum Flughafen rasteten wir bei dem Bauernhof Zipari, wieder inmitten schönster Blumenbeete. Der Bauer, ein ziemlich wortkarger Mann, führte uns vor, wie Dachschindeln aus Espenholz geschnitten werden. Niemand von uns wusste, dass man Espenholz zu einer so wichtigen Funktion und vor allem mittels einer Eigenbau-Maschine mit russisch-soliden Motorteilen verarbeiten konnte – eine Marktnische mit ausreichend Nachfrage. Danach wurden wir in das Bauernhaus zu einem zünftigen lettischen Mittagsmahl geladen. Die Tische waren herrlich in bäuerlicher Manier gedeckt. Als wir das Haus betraten, ertönte Musik. Die zwölfjährige Tochter des Hauses spielte für uns auf einem liegenden Saiteninstrument die lettische Nationalhymne und einige Tänze. Das Instrument nennt sich Kokle, der Klang liegt zwischen Zither und Harfe. Das Mädchen spielte mit so viel Hingabe und Konzentration! Die Bäuerin war berechtigterweise sichtlich stolz auf ihr Kind. Das war ein so sehr gelungener Abschied vom Baltikum!

Um 14 Uhr ging es los zum Flughafen in Riga und schon abends um 19.10 Uhr landeten wir wieder wohlbehalten in Tegel.

Wir könnten noch viel von der Fahrt berichten, zum Beispiel von den Gesangseinlagen mit den Kreft-von-Zadow-Sisters und weiteren tollen Einzelheiten, aber dafür bräuchten wir das ganze Heft. 

Jedenfalls möchten wir uns im Namen aller Teilnehmenden nochmals bei unserer Organisation bedanken. Die Reise war perfekt vorbereitet von Susanne Goldschmidt und ihren beiden Assistenten Roger Grase und Hartmut Sander. Wir fahren mal wieder mit Euch! 

Anne Keese, Barbara und Peter Jansen sowie weitere Redakteure

 

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